Dieter Hecking konnte eigentlich an diesem Nachmittag nichts mehr falsch machen. Das Ergebnis des Spiels in Hannover würde, soviel stand schon vor dem Anpfiff fest, nichts an der Tabellensituation des FCN ändern. So entschied sich der Übungsleiter auch für eine teilweise durchaus experimentelle Herangehensweise: Jens Hegeler rückte für den verletzten Almog Cohen ins Team; Marvin Plattenhardt ersetzte den formschwachen Javier Pinola; Per Nilsson wurde für seine tadellose Reservistenrolle mit einem Einsatz neben seinem Verdränger Philipp Wollscheid belohnt; Ilkay Gündogan durfte zu Hause die Umzugskisten packen. Sein Ersatz hieß Julian Wießmeier: 18, gebürtiger Nürnberger. Um 15:56 musste es dann heißen: Julian Wießmeier: 18, gebürtiger Nürnberger, Bundesligaspieler, Bundesligatorschütze. Aus Nürnberger Sicht war damit die Story des Spiels geschrieben.

 

Man durfte kurz über den letzten gebürtigen Nürnberger als Torschützen rätseln, konnte dann die Antworten Peter Perchtold (Oktober 2008 in Ahlen) für die 2. Liga und Chhunly Pagenburg (April 2007 gegen Aachen) für die Bundesliga geben.Man hatte sogar Zeit den gebürtigen Nürnberger herauszusuchen, der zuletzt gegen ein Team getroffen hatte, das nicht aus einem mit „A“ beginnenden Ort stammte (Störzenhofecker 2000 in Saarbrücken). Für alle ganz Interessierten ergab das längere Nachdenken dann noch eine weitere Liste gebürtiger Nürnberger als Torschützen des Glubb in den letzten circa 20 Jahren: Thomas Ziemer, Marc Oechler, Frank Türr. Die 65 Spielminuten nach Wießmeiers Tor boten nämlich für den Clubfan wenig erbauliches außer drei Gegentoren. Somit musste man sich die gute Laune notgedrungen aus der Vergangenheit holen. Nach einer Saison, wie der gerade abgelaufenen kein allzu schweres Unterfangen.

 

 

 

 

Im Zentrum der Erinnerung dürfte jene Phase stehen, die am Ende ausschlaggebend für die Platzierung des FCN war. Jene Rückrundenspiele, die zwischen den Heimniederlagen gegen Gladbach und Bremen lagen. 20 von 24 möglichen Punkten holte man in diesen acht Spielen und sorgte so für einen entspannten Saisonausklang. Womöglich sogar einen zu entspannten Saisonausklang, denn aus den folgenden acht Spielen bis zum Saisonende holte der Glubb dann nur magere fünf Zähler, auch am Samstagnachmittag in Hannover kam keiner mehr hinzu. Doch auch zuhause blieb der FCN wenig erfolgreich: Er gewann nach dem 5:0 gegen den FC St. Pauli kein Heimspiel mehr.

 

Es mag nur Zufall sein, doch die Erfolgsserie fiel genau in die Phase der Saison, in der Ilkay Gündogan verletzt zusehen musste. Ist sein Weggang also doch verschmerzbar? Hat man am Ende sogar mit seinem Verkauf ein gutes Geschäft gemacht? Gündogans weitere Entwicklung wird darüber sicher Aufschluss geben und sein Anteil an den 22 Punkten in der Hinrunde, gerade in den Spielen gegen Wolfsburg, Köln und Hannover, sowie in Bremen, soll nicht geschmälert werden. Doch die Leistungen des Teams ohne ihn deuten zumindest an, dass die Lücke, die sein Abgang reißt, womöglich kleiner ist, als von außen in die Mannschaft hereingetragen wird.

 

Überhaupt war die Mannschaft über weite Strecken fähig Ausfälle zu kompensieren. Nach der Hinrundenverletzung von Per Nilsson trat bald Philipp Wollscheid auf den Plan, vertrat den Schweden so gut, dass er in der Rückrunde zu einem der besten Innenverteidiger der Liga zählte. Auf Juri Judts Ausfall folgte Timothy Chandlers große Stunde, die ihn bis in die US-Nationalmannschaft spülte. Julian Schiebers Ausfall beantwortete Christian Eigler mit vier Toren in einem Spiel. Javier Pinolas Sperre nutzte Marvin Plattenhardt, um sich in den Dunstkreis der Mannschaft zu spielen.

 

Nur einer, dessen Ausfall womöglich schwer gewogen hätte, musste nie ersetzt werden: Timmy Simons. Der Belgier stand auch am Samstag wieder 90 Minuten auf dem Platz. Seitdem drei Auswechslungen erlaubt sind, ist der 34-jährige der erste Glubberer, der alle 3060 Bundesligaminuten auf dem Platz stand. Umso erstaunlicher stellt sich dies dar, da Dieter Hecking in allen 34 Partien sein Wechselkontingent ausschöpfte, so auch in Hannover. In der Hälfte der Spiele wurde eine dieser Einwechslungen dafür verwendet eine lebende Legende einzuwechseln: 17-mal kam Marek Mintal auf diese Weise ins Spiel, in Hannover nach einer Stunde für den verletzten Julian Wießmeier, ein Tor war dem ehemaligen Torschützenkönig jedoch nicht vergönnt.

 

Dafür übernahmen andere das Toreschießen. 15 verschiedene Torschützen stehen am Ende der Saison zu Buche. Der erste war Jens Hegeler, der letzte Julian Wießmeier. Der treffsicherste Christian Eigler, auch wenn dessen Statistik ein wenig dadurch verfälscht wird, dass er die Hälfte seiner acht Treffer in einem einzigen Spiel erzielte. So gesehen war der zweite in der internen Torschützenliste, Julian Schieber, der effektivere Torjäger. Er verteilte seine sieben Saisontreffer auf sieben Spiele. Alle sieben erzielte er vor seiner Meniskusverletzung.

 

Die fehlende Fitness und Robustheit bemerkte man der Stuttgarter Leihgabe deutlich an. Es litt nicht nur sein Spiel, sondern auch das der gesamten Mannschaft darunter. Die Aufgabe ihn zu ersetzen dürfte nicht dem am Samstag nach nur 17 Minuten für ihn eingewechselten Robert Mak und auch nicht Schiebers Namensvetter Wießmeier zufallen, sondern Neuzugang Tomas Pekhart. Die Lücke, die Schieber mit seiner mannschaftsdienlichen Spielweise hinterlässt, wird der Tscheche wohl vor allem mit seinen körperlichen Voraussetzungen zu schließen versuchen. Es dürfte – Mehmet Ekicis Standardsituationen außer acht lassend – die größte zu stopfende Lücke im Team sein.

 

Trotz dieser zu stopfenden Lücken sieht der Umbruch von außen größer aus als er nach innen ist. Die Führungsstruktur bleibt intakt, sofern Andreas Wolf verlängert; mit Schäfer, Wolf und Simons bleiben Führungs- und Integrationsfiguren erhalten. Der Fehler von 2006/07, als mit Schäfer und Schroth gleich zwei Schlüsselfiguren ziehen gelassen wurden, wird nicht wiederholt. Hinzu kommt, dass erstmals seit Hans Meyer der FCN wieder mit einem Trainer in die Saison geht, der bereits eine ganze Saison als FCN-Cheftrainer hinter sich hat; nicht zu unterschätzende Kontinuität, gerade im Trainerirrenhaus Bundesliga.

Natürlich erscheint ein erneuter sechster Platz nahezu utopisch ist. Nochmals werden sich die etablierten Teams aus Stuttgart, Bremen, Gelsenkirchen und Wolfsburg nicht auf Platz 12, 13, 14 und 15 versammeln. So kann zunächst auch nur der Klassenerhalt das Ziel sein und es ist gut möglich, dass es wesentlich länger dauern wird, dieses Ziel zu erreichen als in dieser Saison. Dennoch: Das kommende Jahr dürfte das entscheidende in Sachen Etablierung werden. Es wird das erste Jahr, in dem man versuchen wird, einen Kader aufzubauen, der langfristig angelegt ist, der perspektivisch nicht mehr nur auf den Klassenerhalt ausgerichtet ist. Gelingt es, kann Dieter Hecking womöglich länger als nur einen Nachmittag nichts mehr falsch machen.

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