Fällt ein spätes Gegentor, so wird ein Stereotyp stets hervorgeholt: Die Mannschaft, die das Tor kassierte, sei „mit den Gedanken schon in der Kabine“ gewesen. Sollte dies tatsächlich zutreffen, dann war die Mannschaft des FCN am Sonntagnachmittag in der 92. Minute in Köln mit den Gedanken bereits auf der Autobahn, wahrscheinlich irgendwo auf Höhe Würzburg. Denn durch eine einzelne Aktion buchstäblich mit dem Schlusspfiff schenkte die Mannschaft einen Punkt in einem Spiel her, das nicht nur keinen Sieger verdient hatte, sondern eigentlich auch keinen, der auch nur einen Punkt aus dem Spiel mitnimmt. Der größte Gewinner dieses kollektiven Last-Minute-Blackouts dürfte jedenfalls einer gewesen sein, der zum Zeitpunkt des Gegentreffers nicht mehr auf dem Platz stand.

 

 

Kapitän Andreas Wolf hatte sich nach 62 Minuten mit Oberschenkelproblemen auswechseln lassen und musste daher von draußen mitansehen, wie die Nürnberger Viererkette gemeinsam in Tiefschlaf versank. Der 28-jährige dürfte bei den anstehenden Vertragsverhandlungen darauf hinweisen, dass die Abwehr unter seiner Führung in Köln sicher stand und erst nach seiner Auswechslung die vier Kölner Großchancen zustande kamen. Er wird auch darauf hinweisen, dass er schon zuvor die Chance hatte, spielentscheidend ins Spiel einzugreifen. Schiedsrichter Meyer wollte aber weder Mohamad für sein Nachtreten (gegen Wolf) von Platz schicken, noch für das Foul von Geromel (gegen Wolf) auf den Elfmeterpunkt zeigen.

 

Wäre Kölns 1:0 nicht noch gefallen, die Schiedsrichterentscheidungen blieben eine Randnotiz, da keine Mannschaft sich übermäßig über das Remis hätte beschweren können. Zu wenig ging bei beiden Mannschaften zusammen. Besonders auffällig beim FCN war, dass die Außenverteidiger in Form von Marvin Plattenhardt und Juri Judt wesentlich weniger offensiv nach vorne agierten als Javier Pinola und Timothy Chandler. So fehlte dem Aufbauspiel eine wichtige, gefährliche Komponente. Wäre die 92. Minute nicht gewesen, man könnte die dadurch gewonnene defensive Stabilität als Gegenargument ins Feld führen. Doch so einfach wie die Kölner dann die rechte Abwehrseite aushebeln konnten, wird der Wunsch nach Chandler doch wieder deutlicher. Zumindest in die Startelf sollte der frisch gebackene US-Nationalspieler nach seiner Sperre wieder zurückkehren, denn wer mit Messi fertig wird, für den dürften am kommenden Samstag ein paar daher gelaufene Bajuwaren doch kein Problem werden.

 

Ein Problem könnte jedoch werden, dass im dritten Spiel in Folge das Offensivspiel entscheidend lahmte und auch keine Anzeichen von Besserung zeigt. Nicht nur, dass man erstmals seit dem 18. Spieltag wieder ohne eigenes Tor blieb, die Anzahl der Torchancen lag ebenso nahe Null. Dies lag sicher zum einen daran, dass Ilkay Gündogan und der seit einigen Wochen formschwache Jens Hegeler wenig Druck nach vorne aufbauen konnten und in großen Teilen des Spiels unauffällig blieben. Damit musste Mehmet Ekici über weite Strecken allein die Arbeit zwischen Mittelkreis und gegnerischem Strafraum verrichten. Zum anderen zeigt sich immer mehr, dass Christian Eigler trotz seiner Arbeitsmoral, trotz seiner Laufbereitschaft, trotz seiner Grundschnelligkeit, trotz seiner vier Tore gegen St. Pauli eben kein echter Stoßstürmer vom Schlage eines Julian Schiebers ist. Sollte der FCN wirklich auf einen Europa League-Platz schielen, so muss man hoffen, dass der Schwabe möglichst bald wieder fit ist.

 

Wenn insgeheim ein Verbleiben auf Rang Sechs jedoch gewünscht ist, auch vor dem Hintergrund der letzten internationalen Saison, dann kann man die Saison schon jetzt zu den Akten legen, regelmäßig Chancen auf mehr liegen lassen und gezielt am Aufbau der nächsten Spielzeit basteln. Denn in der jetzigen Phase dürfte der Ausgang der kommenden Saison bereits grundlegend beeinflusst werden. Eine so gute Ausgangslage hatte man seit 2007 nicht mehr, ein erneutes grandioses Scheitern kann man sich nicht erlauben. Die 92. Minute von Köln dient da als eindringliche Warnung, es gab Jahre, die liegen noch nicht lange zurück, da sorgten solche Gegentore für den Abstieg. Um eine Wiederholung zu verhindern, sollte man diejenigen einbeziehen, die schon damals "gedanklich in der Kabine" waren.

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