Als Philipp Wollscheid den Ball nach drei Minuten im Tor von Thomas Kessler unterbrachte, waren vier weitere Club-Tore vorprogrammiert. Schließlich trifft der 1. FC Nürnberg zuhause in der Bundesliga gegen St. Pauli entweder gar nicht oder gleich fünfmal. Dass diese Serie hielt verdankte der Glubb an diesem Nachmittag vor allem einem: Christian Eigler. Viel gescholten, ob seiner limitierten technischen Fähigkeiten, lieferte der Ur-Franke eine denkwürdige Leistung ab, traf vier Mal ins Tor von Thomas Kessler und sorgte für einen entspannten Nachmittag für alle Beteiligten.

 

Entspannt vor allem deshalb, weil das Spiel in Rekordgeschwindigkeit entschieden war. Nur im April 1968 (4:1 gegen Duisburg) war der FCN in der Bundesligageschichte schneller mit drei Toren in Front. Am Ende blieb dies nicht die einzige historische Dimension des Nachmittags: Nur im September 1965 (7:2 gegen Tasmania Berlin), im Dezember 1967 (7:3 gegen Bayern München) und im November 1986 (7:2 gegen Blau-Weiß Berlin) schoss der Glubb daheim mehr Tore; nur bei jenem legendären 7:3 über die Bayern schoss ein Club-Spieler mehr Tore in einem Spiel.

 

All diese historischen Fakten sollten aber nicht von einer ganz anderen Tatsache ablenken: Dem FCN 2011 zuzusehen macht Spaß. Spaß zu sehen wie schnell der Ball in den eigenen Reihen läuft; Spaß zu sehen wie die Außen mit ihrer Geschwindigkeit die Abwehrreihen der Gegner aushebeln; Spaß zu sehen, wie der Glubb den anderen Mannschaften mit aggressivem, druckvollem Forechecking das Leben schwer macht; Spaß zu sehen, wie das Aufbauspiel immer überlegter und übersichtlicher wird und natürlich Spaß zu sehen, wie all dies in Tore, Siege und Punkte umgemünzt wird.

 

Zu sehen waren all diese Spaßfaktoren am Samstagnachmittag. Darüber hinaus bewies sich einmal mehr eine ganz besondere Qualität des FCN in diesen Tagen: Die Fähigkeit jeden einzelnen Spieler ersetzen zu können. Selbst der Ausfall der bislang überragenden Julian Schieber konnte gegen St. Pauli mehr als kompensiert werden. Statt der prognostizierten Sturmflaute und Schwierigkeiten folgte der große Auftritt des Christian Eigler: Dreimal wurde der gebürtige Schwabacher frei gespielt, dreimal stand er allein vor dem Tor, dreimal versenkte er die Kugel eiskalt in Toptorjäger-Manier. Zu den drei klassischen Stürmertoren gesellte sich ein klassisches Eigler-Tor, mit voller Kraft ins Toreck.

 

So standen am Ende vier Tore für einen Stürmer zu Buche, dem man in seiner bisherigen Zeit beim FCN oftmals nicht mal das Treffen des sprichwörtlichen Scheunentors zugetraut hatte. Doch auch Christian Eigler ist ein Zeichen des sich wandelnden FCN. Schon vor seiner Verschiebung auf die Alleinunterhalter-Position im Sturmzentrum hatte sich der 27-Jährige als Ersatz für den immer noch verletzten Mike Frantz gute Arbeit geleistet, sich mit seinen kämpferischen Fähigkeiten in der Mannschaft fest gespielt, das goldene Tor gegen Bayer Leverkusen erzielt. Nun glänzte Eigler auch in neuer Rolle und lässt den Glubb sogar von Europa träumen.

 

Doch nicht nur Eigler, dem nach einer solchen Leistung natürlich gebührendes Lob gelten muss, sondern auch der Rest des Teams zeigte sich gegen St. Pauli von seiner besten Seite. Selbst die größten Zyniker, die sicherlich von 65 Minuten Beamtenfußball („Vorsprung verwalten“) sprechen könnten, müssen zugeben, dass sie selten einen derart souveränen, derart abgeklärten, derart reifen 1. FC Nürnberg haben spielen sehen. Geschuldet ist dies sicher auch dem sehr sachlichen Stil von Trainer Dieter Hecking, der eindeutig das System an die Spieler anpasst und nicht versucht die Spieler in ein System zu pressen.

 

Zu sehen war dies am Samstag unter anderem an der völlig anderen Auslegung des Außenverteidigers, die Timothy Chandler im Vergleich zu Juri Judt bot. Immer wieder sprintete der junge Deutsch-Amerikaner die Außenlinie entlang, legte Bälle in den Rücken der Abwehr und sorgte damit für Gefahr; so leitete seine Hereingabe unter anderem das 4:0 ein. Sein Gegenpart auf der linken Seite war nicht der andere Außenverteidiger, Javier Pinola, sondern der linke Mittelfeldspieler Robert Mak. Der 19-jährige Slowake legte nicht nur erstmals ein Bundesligator auf, sondern sorgte ähnlich wie Chandler durch seine Schnelligkeit auf den Außen immer wieder für Wirbel und Verwirrung in der Hamburger Abwehr. Hier tut sich mit etwas taktischer Schulung, etwas Reifeprozess und größerer Konzentration, um unnötige Stockfehler zu vermeiden, das Potential einer echten Flügelzange auf.

 

Auch ohne Flügelzange scheint der Glubb momentan unaufhaltsam von Erfolg zu Erfolg zu schweben. Es bleibt abzuwarten wohin die Reise geht. Dort, wo sie nach dem letzten Drei-Tore-Blitzstart endete, wird es wohl nicht hingehen. Dort, wo sie nach fünf Toren gegen St. Pauli bisher immer ging, auf Platz 15, aber auch nicht. Gut zu wissen, dass doch nicht alles vorprogrammiert ist.

 



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